Österreich
Erklärung.

Österreich-Erklärung

Meine Damen und Herren, vielen Dank, dass Sie heute hier herauf in die wunderbare Bergwelt des Kaunertales mitgekommen sind. 

Willkommen auf der Verpeilhütte. Und wie wir Kaunertaler sagen: Willkommen am Schianbödele. Danke für Ihre Zeit und die Gespräche. 

Ich bin in den Bergen des Kaunertals unterwegs, seit ich ein kleiner Bub und junger Mann war. Wenn man in die Berge geht, gehört es dazu, dass man hin und wieder mit einer Verletzung, einem Kratzer nach Hause kommt. So wie ich letzte Woche bei einer Bergtour auf dem Kaunergrat.

In Tirol hat man für solche Fälle einen passenden Spruch: „Warsch it auchagstiega, warsch it ocha gfloga.“ Also eine charmante Version von „selber schuld“. 

Aber da halte ich es mit Niki Lauda: Nach einem Unfall sollte man so schnell wie möglich wieder zurückkommen. Und um mit dem Bergwandern aufzuhören, dazu liebe ich die Berge zu sehr.

Über die Jahre haben mich die Kaunertaler Berge in allen möglichen Lebenssituationen gesehen. Vor Studienprüfungen, in privaten, anspruchsvollen, oft auch schönen Momenten, vor großen Entscheidungen. 

Ich schätze es einfach, wie man sich hier Schritt für Schritt aus den Niederungen des Alltages heraufbegibt, die Ruhe und innere Klarheit finden kann und auch einen anderen Blick auf die Dinge gewinnt. 

Einen klareren Blick. Das hilft mir immer, die Dinge zu ordnen und zu gewichten. Gerade in Zeiten, wo so viel Flirren, Störgeräusche und Ängste in der Luft sind da unten im Tal. Und in ganz Österreich.

Hier oben habe ich die Verbundenheit und die Liebe zu unserer, wie es in der Bundeshymne so schön heißt, „vielgeliebten“ Heimat immer am tiefsten gespürt. 

Ich liebe diesen Berg, die Berggipfel, dieses Panorama.
Und das Land und die Menschen in unserer Heimat.

Hier oben lässt es sich leichter nachdenken. 

Was ist wichtig? Was ist vielleicht nicht ganz so wichtig? 

Das sehe ich als eine der Hauptaufgaben des Bundespräsidenten, der Bundespräsidentin: den Blick immer aufs große Ganze zu richten. 

Und unterscheiden zu können.

Zwischen wichtig und weniger wichtig.
Zwischen langfristiger Bedeutung und kurzfristiger Schlagzeile.
Zwischen effektiver Arbeit und Effekthascherei.
Zwischen dem, was unserem Land nützt und dem Eigennutz.
Zwischen führen und verführen.

Sehen Sie, im Laufe der Jahre, die ich hier immer wieder heraufgekommen bin, hab ich mich zweifel­los verändert. Aber auch der Berg hat sich verändert, das ist offensichtlich. Die Vegetation ist eine andere geworden, auch hier in Tirol. Der Kaunertaler Gletscher zieht sich immer weiter zurück. 

Die Klimakatastrophe macht auch hier nicht Halt. Das ist eines der wenigen Probleme, die wir nicht unten im Tal lassen können. Wir wissen aus der Wissenschaft und Forschung und leider auch durch die häufigen Wetterextreme, dass Österreich sehr betroffen ist von dieser katastrophalen Veränderung. 

Und wenn man den Blick von den vielen, vielen anderen Bedrohungen einmal nur ganz kurz hebt, dann ist es unübersehbar, dass wir uns dieser Herausforderung stellen müssen:
Wir müssen unseren Nachkommen eine intakte Lebensgrundlage übergeben.

Ich bin hier als Kind so oft barfuß herumgelaufen, habe ganz selbstverständlich gelernt, wie aufgehoben und verbunden man sich in unserer Natur fühlen kann, was einem das für eine Erdung geben kann für ein ganzes Leben.

Und ich werde keine Ruhe geben, bis ich sicher bin, dass auch unsere Kinder und deren Kinder diese Erfahrung von echter Naturverbundenheit machen können. 

Einen Schluck aus dem kalten Gebirgsbach zu trinken, diese herrliche Gebirgsluft einzuatmen. Durch den kühlenden Wald zu streifen.

Das ist unglaublich kostbar. 

Und für diese Glücksmomente braucht man nun einmal eine intakte Natur. 

Denn die Natur macht Leben erst möglich. Ohne Natur gibt es kein Leben.

Die Erde braucht uns nicht. Dieser Berg kommt auch ohne uns ganz gut zurecht. 

Es sind wir, die diesen Planeten brauchen. Und es ist unsere verdammte Pflicht, darauf zu achten. 

Und Politiker und Politikerinnen haben dabei die Pflicht, sich in den Dienst der Sache zu stellen.
Bei der Wahrheit zu bleiben. Nach bestem Wissen und Gewissen zu handeln.

Die eigenen Fähigkeiten nicht für den Eigennutz,
nicht zur Befriedigung der eigenen Eitelkeit,
nicht zur persönlichen Bereicherung,
nicht für die eigenen Freunderl,
sondern zum größtmöglichen Wohl aller einzusetzen. 

Und natürlich nicht nur bei der Klimakatastrophe, aber auch da. Ganz besonders da. 

Ein Politiker, eine Politikerin muss führen und nicht verführen.
Die Aufgabe von Politikern ist jedenfalls nicht die Beschäftigung mit sich selbst. Oder kleingeistige, kindische, scheinbar ideologische Konflikte zu führen.
Oder gar die Rechtsstaatlichkeit in Frage zu stellen.
Oder Empathie und Verantwortung zu verweigern.
Es geht hier um die Zukunft und um das Lebensglück von uns allen. 

Und das ist kein Spiel.

Ein Politiker, eine Politikerin, die das nicht versteht und dementsprechend handelt, wird seiner oder ihrer Verantwortung für Österreich einfach nicht gerecht.

Meine Damen und Herren, nennen Sie mich altmodisch, aber ich glaube an Integrität.
An Gewissenhaftigkeit, Anstand und Ehrlichkeit. 

Und etwas haben wir in den letzten Jahren ja wirklich gelernt. Wir brauchen eine integre, funktionierende Politik, die ihre Verantwortung wahrnimmt. In Österreich, in Europa und in den internationalen Organisationen.

Dafür braucht es integre Menschen, die ihre Fähigkeiten und ihre Kraft in den Dienst des Lebensglücks anderer Menschen stellen. Und die sich im Übrigen auch dessen bewusst sind, dass sie Österreich international dementsprechend integer zu vertreten haben.
Das ist die wahre Aufgabe von Politik.

Mag sein, dass man das manchmal vergisst. Aber auch hier hilft die Klarheit, die man am Weg auf einen Berg wieder gewinnen kann.

Wir müssen den Menschen die Wahrheit sagen, auch wenn sie unbequem ist. 

Das meine ich auch, wenn ich vorhin gesagt habe, ein Politiker, eine Politikerin muss führen und nicht verführen.

Im Fall der Klimakatastrophe wäre es kurzfristig bequemer für alle, zu sagen, „jaja, das Klima hat sich schon immer gewandelt, das ist völlig normal. Der Neusiedlersee hat einmal mehr, einmal weniger Wasser, das ist alles kein Grund, unser Verhalten zu überdenken. Gehen Sie weiter, es gibt hier nichts zu sehen. This is fine.“ 

Aber es ist eben nicht fein. Wir müssen was tun. Und wir können was tun. 

Je früher und abgestimmter, desto einfacher und effektiver. Aber jetzt verdammt nochmal.
Ich will das Meinige dazu beitragen und darum werde ich keine Ruhe geben!

Führen, nicht verführen. Nicht mit vermeintlich einfachen Antworten an die niederen Instinkte von Menschen appellieren. Das ist die Pflicht eines Politikers, einer Politikerin und sie gilt auch im Falle von Putins Angriffskrieg auf die Ukraine und unser Lebensmodell. Es ist zwar verführerisch und einfach zu behaupten, Europa müsse nur die Sanktionen aufheben und schon werde alles wieder billiger. 

Aber es stimmt halt einfach nicht. 

Die Wahrheit ist: Die massiv steigenden Energiepreise, die massive Inflation, die drohende Verarmung sind direkte, gewollte Folgen von Putins Aggression. 

Putin attackiert unsere Art zu leben. Er nennt uns verweichlicht und den Westen dekadent. Weil er es nicht erträgt, dass wir in individueller Freiheit leben, dass hier jede und jeder so leben kann wie er oder sie es eben möchte. Dieses Lebensmodell, aufgebaut auf dem hart erstrittenen Fundament der Menschenrechte, müssen wir verteidigen. 

Das können wir nicht einfach so aufgeben.
Nein, wir müssen widerstehen und widersprechen.
Wir dürfen nicht wegsehen.
Wir dürfen Unrecht nicht hinnehmen. 

Die Zeit der Despoten haben wir in Europa hinter uns gelassen!

Wir müssen zu unserer Wahrheit stehen, auch wenn das einen Preis hat. 

Gerade, wenn es einen Preis hat. Im Fall der russischen Aggression scheint es verführerisch, zu sagen, „Sanktionen weg bedeutet alles ist wieder gut.“ Aber würden wir die Sanktionen aufheben, was sollte Putin abhalten davon, weiter zu machen? 

Schließlich hat ihn auch nichts davon abgehalten, einen Krieg vom Zaun zu brechen. 

Nein! Was wir jetzt brauchen, ist Solidarität, Geschlossenheit und Entschlossenheit. Wir dürfen uns nicht spalten lassen. Wir müssen gemeinsam mit allem was wir haben, denen helfen, die
jetzt am stärksten unter den wirtschaftlichen Folgen von Putins Aggression leiden. Wir dürfen niemanden zurücklassen. 

Jede Österreicherin und jeder Österreicher, der oder die als Folge von Putins Angriffskrieg angegriffen und geschwächt wird, die oder der die Heizungsrechnung im Winter nicht mehr zahlen kann, muss sich in Österreich zuhause und sicher fühlen. Und den Zusammenhalt und die Solidarität von uns allen spüren. Und das auch im Geldbörsel sehen. Jede. Und Jeder. 

Wir lassen in Österreich niemanden allein.

Solidarität ist unsere Waffe. Wir müssen gemeinsam gegen das Unrecht auftreten und Putin in die Schranken weisen. Und wir können das. 

Je entschlossener und klarer, desto besser. Denn wir sind Europa. 

Wir sind 450 Millionen Europäerinnen und Europäer in der Europäischen Union.

Wir sind eine Wirtschaftsweltmacht. Und gemeinsam sind wir stärker!

Führen, nicht verführen. Nicht bewusst Ursache und Wirkung verdrehen und einfache Lösungen vorgaukeln obwohl man weiß, dass es keine einfachen Lösungen gibt. Das ist die Pflicht eines Politikers. Und sie gilt auch im Falle unseres Verhältnisses zur Europäischen Union. Ich stehe dazu: Europa ist die beste Idee, die wir je hatten. Wir sind ein starker Kontinent. Wir sind ein einzigartiger, bunter, vielfältiger, widerstandsfähiger Kontinent. 

Ein mächtiger Kontinent, wenn wir zusammenhalten. 

Und ja, ich weiß, ich werde dafür auch belächelt und manchmal kritisiert, aber ich bin ein Optimist und ich glaube fest daran: Wir können gemeinsam alles meistern. Das meine ich, wenn ich sage:
Ein Politiker, eine Politikerin muss führen, nicht verführen. 

Nicht mit der Europäischen Idee spielen. Und auch mit Österreich spielt man nicht. 

Wir sollen, wir können und wir werden mutig der Wahrheit ins Auge blicken. 

An unsere Fundamente und Werte glauben. An Österreich glauben. Und an Europa glauben.
Und entschlossen handeln. Ich will das Meinige dazu beitragen.

Sie kennen mich!

Sie haben mich jetzt fast sechs Jahre als Österreichischen Bundespräsidenten erlebt. Die Österreicherinnen und Österreicher haben ein feines Gespür zu wissen, wer ich bin und was ich kann und wofür ich stehe: Für solide, überlegte, ernsthafte Politik mit Augenmaß.
Für Stabilität und Verlässlichkeit.
Für ein seriöses und umsichtiges Vertreten unserer Heimat in der ganzen Welt.
Für Ausgleich der berechtigten Interessen und für Kontrolle der Regierung.
Und für Solidarität.

Dabei leitet mich meine tiefe Liebe und Verbundenheit zu Österreich und zu unserer Verfassung. 

Meine Damen und Herren, Ich will Sie, und in diesem Fall meine ich explizit Sie, liebe Journalistinnen und Journalisten, heute auch dazu einladen, wieder die guten Dinge, die Signale der Hoffnung in unserer Heimat, in Europa und in der ganzen Welt zu sehen. Ja, wir leben in einer unruhigen Zeit, einer Zeit der großen Veränderungen, und ja, Bürgerinnen und Bürger, wir alle haben berechtigte Sorgen und Ängste.

Aber wir dürfen uns die Hoffnung, den Optimismus, und auch die Lebensfreude nicht nehmen lassen. Trotz alledem.

Ich will Sie dazu einladen, gemeinsam nach Lösungen zu suchen und an die Arbeit zu gehen und an uns zu glauben. Wir haben in der Vergangenheit immer dann Lösungen für unsere Probleme gefunden, wenn wir zusammengearbeitet haben.

Und wir müssen uns auf unsere Stärken, auf die Stärken unserer Heimat besinnen.

Lassen wir uns Österreich, und weil hier auch die Europafahne weht, auch Europa nicht kleinreden. Gemeinsam sind wir stärker! 

Glauben wir an unsere gemeinsame Stärke und Kraft. Besinnen wir uns unserer gemeinsamen Stärken. Denn nur der Zusammenhalt macht uns sicher.

Aber das alles haben Sie von mir schon gehört, denn Sie kennen mich. 

Daher mag vieles nicht neu oder überraschend klingen. 

Aber das ist eben so, wenn man verlässlich ist.
Verlässlichkeit ist sehr wichtig in Zeiten wie diesen, glauben Sie mir. 

Denn die Zeiten und die Herausforderungen sind spannend genug.
Ich glaube, ich weiß, dass ich dazu noch viel beitragen kann.
Und ich verspreche, dies mit all der mir zur Verfügung stehenden Erfahrung, meinem Wissen, meiner Kraft, und meiner Unabhängigkeit zu tun. 

Wenn mir die Österreicherinnen und Österreicher einmal mehr ihr Vertrauen schenken, dann verspreche ich, da zu sein für unsere Heimat. 

Für alle! Auch für die, die mich noch nicht wählen möchten. Ich verspreche, dieses Land, unsere Heimat die Republik Österreich, nach bestem Wissen und Gewissen und im besten Sinne des Wortes zu führen. 

Vielen Dank.


Die gesamte Rede gibt es hier auch zum Download als PDF.

Teilen Sie gerne Diese Seite,
um Mich zu unterstützen!